"Ich bin kritischer mit meiner eigenen Arbeit geworden"
19. Mai 2021, von GRK2530
Foto: UHH/GRK2530
Gute wissenschaftliche Praxis ist ein Kernelement von Wissenschaft. Deshalb bietet das Graduiertenkolleg 2530 den Doktorandinnen und Doktoranden im Rahmen seines Qualifizierungsprogramms einen Kurs zu guter wissenschaftlicher Praxis an, der Ende April stattgefunden hat. Die Promovierenden Monica Wilson und Friederike Neiske erzählen, was sie aus dem Kurs mitgenommen haben und welchen Rat sie jüngeren Studierenden geben würden.
Monica und Friederike, welche Vorerfahrungen hattet ihr in Bezug auf das Thema gute wissenschaftliche Praxis, bevor ihr den Kurs besucht habt?
Monica: Ich hatte nur eine kurze Einführung, als ich im Labor angefangen habe zu arbeiten. Mir wurde zum Beispiel erklärt, wie man ein Laborbuch richtig führt. Aber mir wurde nie gesagt, wie man mit anderen zusammenarbeiten oder publizieren sollte oder so etwas. Alles, was ich vor dem Kurs wusste, war meist aus zweiter Hand oder aus informellen Gesprächen mit Professorinnen und Professoren, die mir gesagt haben, was ich beachten sollte.
Friederike: Ich hatte auch eine Einführung in die Laborarbeit, aber mehr nicht. Alles was ich wusste, habe ich durch Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen oder meinen Betreuenden während meiner Masterarbeit erfahren. Ich hatte also keine offizielle Einführung in das Thema.
Ihr hattet also keinen Kurs und keine strukturierte Einführung in die gute wissenschaftliche Praxis. Denkt Ihr, dass die meisten Bachelor- und Masterstudenten die gleiche Erfahrung machen?
Monica: Wahrscheinlich ja. Und ich kann sagen, dass ich nicht wusste, wie gute wissenschaftliche Praxis aussieht. Wenn während des Kurses jemand sagte: ‚So solltest du es nicht machen‘, dachte ich oft: ‚Ich habe genau in Erinnerung, wie ich das während meines Bachelors gemacht habe‘, weil mir niemand gesagt hat, dass ich es nicht tun soll. Ich denke also je früher dieses Thema angesprochen wird, desto besser. Ich finde es schade, dass ich jetzt zum ersten Mal einen Kurs hatte, in dem mir erklärt wird, was von mir erwartet wird und was ich von anderen Leuten erwarten sollte – ohne, dass ich das aus eigener Erfahrung lernen musste.
Friederike: Ja, dem kann ich nur zustimmen.
Über welche Themen habt ihr in dem Kurs gesprochen?
Friederike: Zuerst haben wir über den Umgang mit Daten und über die Verantwortung der Betreuenden und der Betreuten gesprochen. Weiter ging es mit Predatory Journals, Interessenkonflikten und wissenschaftlicher Zusammenarbeit. Das war auch das Thema, das Monica, Elly und ich präsentiert haben.
Alle Promovierenden haben die Themen selbst vorbereitet und präsentiert. Warum habt Ihr euch für das Themengebiet der Interessenkonflikte und wissenschaftlicher Kooperationen entschieden?
Friederike: (lacht) Das war ein Fehler. Wir mussten uns in einer Umfrage für ein Thema eintragen. Ich habe dann Monica gefragt, ob sie eine Präferenz für ein bestimmtes Thema hat und sie sagte 'vielleicht nicht das letzte', ich habe aber verstanden 'bitte das letzte'. Es gibt also keinen bestimmten Grund, warum wir genau dieses Thema gewählt haben. Am Ende war es aber wirklich interessant.
Monica, warum wolltest du das Thema nicht präsentieren?
Monica: Ich habe über das Format des Kurses nachgedacht - wir wollten die Themen auch unterhaltsam und interaktiv gestalten und kreativ sein in der Art und Weise, wie wir sie den anderen Doktorandinnen und Doktoranden präsentieren. Ich dachte, dass das bei den Interessenkonflikten vielleicht schwerer zu erreichen sein würde. Aber am Ende war ich sehr zufrieden damit, wie wir es gemacht haben.
Wie habt ihr das Thema schlussendlich präsentiert?
Monica: Wir haben mit Beispielen von guter wissenschaftlicher Zusammenarbeit angefangen und haben anschließend Negativbeispiele gezeigt. Dann haben wir die Teilnehmenden gebeten, die Arten von Interessenkonflikten aufzuschreiben, von denen sie annahmen, dass sie am häufigsten vorkommen würden. Beendet haben wir das Thema mit Diskussionen in Kleingruppen mit verschiedenen Szenarien, welche die Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutieren sollten. Wir hatten keine festen Lösungen vorbereitet, so dass die Gruppe ihre eigenen Lösungen entwickeln musste.
Welche Kernbotschaften habt Ihr aus dem Kurs mitgenommen?
Friederike: Für mich war es, dass schlechte wissenschaftliche Praxis in all ihren Formen nicht immer offensichtlich ist und teilweise schwer zu erkennen ist. Wenn zum Beispiel jemand Daten manipuliert, ist das schwer zu identifizieren. Oder zum Beispiel Predatory Journals: Am Anfang dachte ich, es ist klar, dass diese Zeitschriften nicht professionell sind und niemand darauf hereinfallen könnte. Aber manchmal sind diese Publikationen schwer zu erkennen.
Monica: Dem würde ich zustimmen. Eine meiner wichtigsten Erkenntnisse war, wie heimtückisch schlechte wissenschaftliche Praxis ist. Ich denke, einer der Gründe dafür ist, dass es nicht immer böswillige Absicht ist - manchmal ist es Unachtsamkeit oder Unwissenheit. Oder, in meinem Fall als Bachelorstudentin, ist es die Unkenntnis, wie ich mein Laborbuch richtig führe. Es lag nicht daran, dass ich absichtlich meine Daten verstecken wollte. Es war einfach, weil ich es nicht wusste. Und ich denke, dass ein geringes Bewusstsein, was gute wissenschaftliche Praxis wirklich ist, zu schlechter wissenschaftlicher Praxis führt. Es ist also viel verbreiteter, als man annehmen würde. In den Vorträgen wurden oft Statistiken genannt, wie häufig es bei vielen verschiedenen Themen vorkommt, und es ist viel mehr, als man denken würde.
Kannst du dich an einige Statistiken erinnern?
Monica: Eine 2015 durchgeführte Umfrage der American Society for Cell Biology ergab, dass mehr als zwei Drittel der Befragten mindestens einmal nicht in der Lage waren, veröffentlichte Ergebnisse zu reproduzieren. Das sind definitiv nicht nur Bachelorstudierende, die Dinge veröffentlichen, sondern es passiert auf allen Ebenen der Wissenschaft.
Hat euch der Kurs denn auch dafür sensibilisiert, schlechte wissenschaftliche Praxis zu erkennen? Zum Beispiel beim Betrachten von Zahlen oder Publikationen?
Monica: Einen Tag, nachdem der Kurs zu Ende war, habe ich ein Paper gelesen. Und ich habe es tatsächlich mit viel mehr Sorgfalt gelesen, als ich es normalerweise getan hätte und dachte mir: 'Ich weiß nicht, vielleicht haben diese Leute etwas zu verbergen' (lacht). Ich weiß nicht, ob das vom Kurs beabsichtigt war, aber es hat mich auf jeden Fall misstrauischer gemacht und ich nehme Dinge nicht mehr für bare Münze, selbst wenn sie in einem Journal mit hohem Impact-Faktor veröffentlicht wurden.
Friederike: Ich bin auch kritischer mit meiner eigenen Arbeit geworden. Wir haben zum Beispiel auch über die eigenen Daten gesprochen. Wenn man Daten hat und mit der Analyse oder Interpretation beginnt, ist man durch die eigene Erwartungshaltung voreingenommen. Und man befindet sich auch in einer Art Blase, man interpretiert seine Daten auf eine bestimmte Weise. Man ist nicht immer neutral, weil man will, dass die Daten bestimmte Dinge zeigen.
Hast du eine Lösung für das Problem?
Friederike: Sich bewusst zu sein, dass man voreingenommen sein könnte, kann helfen. Aber ich denke auch, dass eine Lösung sein kann, mit Kolleginnen und Kollegen über die Daten zu sprechen. Vielleicht mit Leuten, die nicht direkt mit einem arbeiten, Leute aus einer anderen Arbeitsgruppe. Ich denke, dass das in unserem GRK besonders toll ist: Wir sind viele Personen, die wir um Hilfe bitten und mit denen wir diskutieren können.
Und Monica, was tust du, um eine gute wissenschaftliche Praxis bei deiner Forschung sicherzustellen?
Monica: Ich habe schon angefangen, mir Gedanken über die Robustheit meiner Daten zu machen. Als wir über den Umgang mit Daten gesprochen haben, ging es unter anderem darum, wie man vermeiden kann, mehr Aussagekraft aus seinen Daten herauszuholen, als vorhanden ist. Das kann man lösen, indem man am Anfang einen guten Versuchsplan hat, also eine gute Anzahl an Replikaten und einen ausreichend großen Stichprobenumfang. Ich habe also viel darüber nachgedacht, wie man genug Daten sammelt, aber nicht zu viele.
Wenn ihr zurückblickt, was würdet ihr jüngeren Studierenden raten, nachdem ihr den Kurs besucht habt?
Monica: Es ist so wichtig, dass man mit der Betreuerin oder dem Betreuer von Anfang an sehr direkt kommuniziert und die Erwartungen an die wissenschaftlichen Partnerinnen und Partner klar formuliert.
Friederike: Ich würde noch hinzufügen, kritisch mit der Arbeit anderer, aber auch mit der eigenen Arbeit umzugehen und ständig zu reflektieren, was man tut.
Zu den Personen:
Friederike Neiske hat in Tübingen und Göttingen studiert, bevor sie an die Universität Hamburg gekommen ist. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie Bodeneigenschaften den Kohlenstoffhaushalt und die Bildung gelöster organischer Substanz in den Marschen des Elbeästuars beeinflussen.
Monica Wilson beschäftigt sich in ihrer Promotion mit Rhizosphärenprozessen in Feuchtgebieten und dem pflanzenvermittelten Abbau von organischer Substanz in der Rhizosphäre (z.B. durch Wurzelsauerstoffverlust und Wurzelexsudate). Ihren Bachelor hat sie am Smith College in Massachusetts und den Master in Köln gemacht.