Loki Schmidt
Naturforscherin ein Leben lang

Petra Schwarz, 03.03.2021
Hannelore "Loki" Schmidt lebte ihre Träume. Das Arbeiterkind aus Hamburg wollte wie Alexander von Humboldt Naturforscherin werden. Das, was sie als gehätschelten Kindertraum bezeichnete, konnte sie später wahr machen. Der gerade Weg war ihr aus finanziellen Gründen verwehrt. Auch wenn sie erst mit 57 Jahren auf Forschungsreisen in alle Welt gehen konnte, hat sie diesen Traum schrittweise verwirklicht. Die Pflanzen vor der Haustür waren ihr als Kind ebenso vertraut, wie Moor und Heide rund um Hamburg als Jugendliche und Brachflächen in Schleswig Holstein oder Regenwälder in Brasilien als Erwachsene. Die Namensgeberin des Museums für Nutzpflanzen wäre am 3. März diesen Jahres 102 Jahre alt geworden. Was hat Hamburger Deern zur Naturforscherin und Botschafterin für die Natur auf nationaler und internationaler Ebene gemacht?
Die geborene Naturforscherin
Loki lernte von Kindesbeinen an, Natur im Detail zu betrachten. Sie profitierte zunächst von den Spaziergängen im Hammer Park mit Ihrer Mutter. Sie ging mit Eduard Feldmann, einem Lehrer Ihres Vaters, in der Fischbeker Heide botanisieren. Sie begleitete Ida Eberhard, ihre Biologielehrerin an der Lichtwarckschule, in der Natur beim Sammeln von Unterrichtsmaterial.
Ihre Kinderbücher waren die 15 Bände der Sturm'schen Flora von Deutschland. Die von ihren Eltern antiquarisch erworbenen Bücher sind kaum größer als das heutige kleine Taschenbuchformat. Sie enthalten eine Zusammenstellung der an der Schwelle zum 19. Jahrhundert bekannten Pflanzenarten Deutschlands. Die sehr anschaulichen Bildtafeln entstammen der Hand des deutschen Naturforschers und Kupferstechers Jakob Sturm. Für Loki waren diese Bände Bilder- und Studienbuch zugleich. Selbst ihren späteren Zeichnungen lassen den Einfluss dieses Werkes erahnen. Nach und nach lernte sie die Pflanzen in der Umgebung Ihres Zuhauses, in ganz Hamburg und darüber hinaus kennen.
Für eine Jahresarbeit an der Lichtwarckschule führte Loki Schmidt noch vor Erreichen der mittleren Reife eine Studie im „Kleinen Moor“ in der Fischbeker Heide durch. Sie erfasste, bestimmte, beschrieb und zeichnete die dort vorkommenden Pflanzenarten. Das Ergebnis war eine frühe Biotopaufnahme, nur gab es das Wort damals noch nicht. Diese Arbeit ist leider im Krieg verbrannt, so dass sie für Vergleiche mit dem heutigen Zustand des Moores nicht mehr herangezogen werden kann.
An ein Biologiestudium war nach dem Abitur aus Kostengründen nicht zu denken. Sie wurde Lehrerin und gab ihre Liebe zur Natur an ihre Schülerinnen und Schüler weiter.
Die Vordenkerin für Lebensräume von Pflanzen
In den 1970er Jahren begann Loki Schmidt am Brahmsee in Schleswig-Holstein ein neuartiges, visionäres Projekt. Es steht als Beispiel für ihre Weitsicht in Sachen komplexer Naturbetrachtung und Naturforschung. Die Brachfläche eines stillgelegten Roggenackers zog ihre Aufmerksamkeit an. Sie beobachtete etwa zehn Jahre lang die natürliche Entwicklung dieser nicht mehr genutzten Ackerfläche und erwarb mit Ihrem Mann das Grundstück. Danach beantragte sie bei den örtlichen Behörden für eben diese Fläche den Verzicht auf jegliche „Pflegeeingriffe“. Loki Schmidt argumentierte mit der Einmaligkeit der natürlichen Entwicklung und legte die Ergebnisse ihrer mehrjährigen Bestandsaufnahmen vor. Sie hatte Erfolg und erhielt die Erlaubnis. Ihren Urwald nannte sie liebevoll das was dann entstand. Bis heute ist dieser Ort Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.
Die Kennerin der Pflanzenarten
Erst als Kanzlergattin bot sich Loki Schmidt die Chance zur Teilnahme an wissenschaftlichen Expeditionen. In Zusammenarbeit mit Forscherinnen und Forschern der Max-Planck-Gesellschaft trug sie unter anderem zur Erfassung der Pflanzen- und Tierwelt extremer Lebensräume bei. Ihre erste Reise führte sie 1976 in den Nationalpark Kenia in den Lebensraum zweier Eisvogelarten am Nakuru-See. 1979 und 1985 nahm Loki Schmidt an Feldstudien im Überschwemmungsgebiet des Amazonas teil.
Ihre ausgesprochene Pflanzenkenntnis und ihr Blick für Details ließen sie eine neue Pflanzenart entdecken. Auf Reisen in Mexiko 1983 fiel Loki Schmidt in einem ausgetrockneten Flussbett an der Pazifikküste ein Ananasgewächs auf und nahm Exemplare davon mit in den Botanischen Garten Bonn. Drei Jahre später blühte die Pflanze dort und entpuppte sich als bisher nicht beschriebene Bromelien-Art. Ihrer Entdeckerin zu Ehren erhielt das Gewächs den Namen Pitcairnia loki-schmidtiae Rauh et Bartlott.
Die Wissensarbeiterin
Im Helmut-Schmidt-Archiv stehen Ordner mit Skripten zu Bonner Vorlesungen und Seminaren der Botanik und Biodiversität ab 1985. Sie zeigen Spuren intensiver Auseinandersetzung mit dem Lehrstoff. Neben ausführlichen handschriftlichen Notizen von Loki Schmidt sind Unterlagen vom Charakter wissenschaftliche Ausarbeitungen enthalten. 1985 hatte Wilhelm Bartlott eine Professur für Botanik an der Universität Bonn angetreten. Es begann eine Zeit intensiven Austausches zwischen ihm und Loki Schmidt. Selbst über die Entfernung Hamburg-Bonn hinweg nahm Loki Schmidt – wann immer möglich – an Exkursionen und wissenschaftlichen Veranstaltungen des botanischen Institutes von Prof. Bartlott teil. Sie brachte ihre Erfahrungen von Forschungsaufenthalten (unter anderem) in Kenia, Ecuador und Brasilien ein. Neues botanisches Detailwissen knüpfte sie zielgerichtet an autodidaktisch erarbeitetes Wissen und langjährige praktische Erfahrungen an.
Im Jahr 2000 wurde Loki Schmidt durch den Fachbereich Biologie der Universität Hamburg die Ehrendoktorwürde verliehen für visionäre Pionierarbeit und fachliche Leistungen, die denen einer Doktorarbeit entsprachen. Ihre vielfältigen Ansätze und Ergebnisse überzeugten. Für sie war es immer selbstverständlich, praktische Belange mit wissenschaftlichen Herangehensweisen zu verknüpfen. Loki Schmidt sprach von sich gern als angelernte Botanikerin, wenn es um ihre Qualifikation ging – welche Untertreibung.