Zwei Proteine scheinen Robbengehirne vor Sauerstoffmangel zu schützen
30. November 2020, von Website Team Biologie

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Die Klappmützenrobbe (Cystophora cristata) kann mehr als 600 Meter tief und bis zu eine Stunde lang tauchen. Ihr Gehirn übersteht dabei die niedrigen Sauerstoffpartialdrücke. Wie kann das sein? Dr. Cornelia Gessner, Postdoktorandin in der Molekularen Tierphysiologie am Fachbereich geht dieser Frage nach.
Die Klappmützenrobbe taucht in der Regel zwischen 100 und 600 Meter in die Tiefe und das für eine Dauer von 20 Minuten. Die Tiere können aber auch knapp eine Stunde und bis zu 1000 Meter tief tauchen. Dabei übersteht die Robbe niedrige Sauerstoffpartialdrücke, die im menschlichen Gehirn für Bewusstlosigkeit und einen bleibenden neuronalen Schaden sorgen würden. Wie macht sie das nur? Um das herauszufinden, wird das tauchende Gehirn im Labor simuliert, genauer gesagt in Zellkultur.
Dafür werden murine, neuronale Zellen (HN33 Zellen) verwendet, die zwei Gene der Klappmützenrobbe tragen. Die Proteine S100B und Clusterin sind im Cortex der Klappmützenrobbe in einer höheren Konzentration vorhanden als in der Maus, die als am Land lebendes Säugetier zum Vergleich diente. Diese beiden „Stressproteine“ wurden bei Patientinnen und Patienten mit Schlaganfall, Parkinson und anderen neurodegenerativen Erkrankungen, die durch Sauerstoffmangel geprägt sind, in deutlich erhöhten Mengen gefunden. Bisher wird diskutiert, ob diese Proteine dem neuronalen Schutz dienen, oder Marker des Zelltods sind.
HN33 Zellen, in denen S100B oder eine der beiden splice-Varianten des Clusterins verstärkt exprimiert waren, und die 24 Stunden unter Sauerstoffmangel (1,2 Prozent O2) gesetzt wurden, zeigten eine deutlich höhere Lebensfähigkeitals Kontrollzellen. Auch wenn die Zellen reaktiven Sauerstoffspezies ausgesetzt waren, um nach dem Sauerstoffmangel die Reperfusion (Wiederherstellung des Blutflusses) des Gewebes mit Sauerstoff nachzuahmen, hatten die transfizierten Zellen eine deutlich höhere Überlebensrate, weniger zellulären Schaden - und vor allem eine geringere Menge reaktiver Sauerstoffspezies als die Kontrollzellen.
Die hohen Mengen von S100B und Clusterin im Gehirn der Klappmützenrobbe scheinen also Neuronen vor Sauerstoffmangel und vor oxidativem Stress, der vor allem beim Auftauchen an die Wasseroberfläche mit anschließender Reperfusion entsteht, zu schützen. S100B, ein Calcium-bindendes Protein hält die Calciumhomöostase aufrecht, die für eine funktionierende Signalübertragung wichtig ist. Clusterin, ein Chaperon, unterstützt die korrekte Faltung von Proteinen und verhindert deren Aggregation und Abbau. Nur die kleinere splice Variante des Clusterins (nucleus clusterin) senkt nicht ganz so stark das Level der reaktiven Sauerstoffspezies und muss daher noch ein kleines Geheimnis haben, wie es die Viabilität der Zellen aufrechterhält. „Die genaue Funktionsweise und wie viele Fäden S100B und Clusterin im Netz der molekularen Mechanismen noch in der Hand haben, versucht gerade unser Doktorand Gerrit Martens herauszufinden, der sich die Transkriptome der Zellen ansieht“, erklärt Gessner.
Publikation zur Forschung:
Cornelia Geßner, Maren Nicole Stillger, Naomi Mölders, Andrej Fabrizius, Lars P. Folkow, Thorsten Burmester (2020): Cell culture experiments reveal that high S100B and clusterin levels may convey hypoxiatolerance to the hooded seal (Cystophora cristata) brain
https://doi.org/10.1016/j.neuroscience.2020.09.039