Langer Tag der Stadtnatur – ganz weit draußenDer Hamburger Biologe Dr. Veit Hennig führte eine Gruppe Neugierige zur Vogelkolonie auf Neuwerk
19. Juni 2017, von Maike Nicolai

Foto: UHH/MIN/Nicolai
Langer Tag der Stadtnatur in Hamburg – bedeutet das etwa Fledermäuse aufspüren in feuchtkalten U-Bahn-Schächten? Oder Käfer zählen im Randstreifen der Autobahn A1? Rosen schnuppern im Botanischen Garten Klein Flottbek? Für eine kleine Gruppe Neugierige heißt dies: Ab auf die Insel! Neuwerk, ein dreieinhalb Quadratkilometer kleines Eiland in der Elbmündung gehört zur Hansestadt Hamburg. Dort erklärt Dr. Veit Hennig, Zoologe aus dem Fachbereich Biologie der Universität Hamburg, wie sich der Lebensraum Wattenmeer verändert. Seit fast zwei Jahrzehnten beobachtet er die Populationen von Küsten- und Flussseeschwalbe an der deutschen Nordseeküste. Auch drei Studierende sind mit ihm an diesem Wochenende auf Neuwerk: Michelle Bänsch, Anke Klomp und Yannic Wocken zählen Arten und sammeln Proben für ihre Bachelorarbeiten. Ihre Ergebnisse reichen sie auch für den GEO-Tag der Natur ein. Maike Nicolai, Wissenschaftsredakteurin im MIN-Dekanat, hat die Forschenden und ihre Gäste begleitet.
Erste Lektion: Wir befinden uns in einem Grenzgebiet. „Dies ist die südlichste Verbreitungszone der Küstenseeschwalbe und das nördlichste der Flussseeschwalbe. Es ist interessant zu beobachten, wie sich Veränderungen gerade hier auswirken, wo sich beide Arten begegnen“, erklärt Dr. Hennig. Und noch eine dritte Seeschwalbenart kommt hinzu – die Brandseeschwalbe. Schwarzer Schnabel mit gelber Spitze, schwarze Beine und ein Ruf, der wie „Kärrik“ klingt. Ihre anderen beiden Verwandten haben rote Schnäbel und Beine. Die Flussseeschwalbe steht auf langen, eher karotten- als blutroten Stelzen und scheint an der Schnabelspitze einen schwarzen Tropfen zu tragen. Beide Arten kreischen ein scharfes „Kiärr“, doch die Flussseeschwalbe scheint das „r“ dabei zu rollen. Wir horchen und scannen das kurze Gras mit dem Spektiv, ganz erpicht darauf, das neue Wissen anzuwenden. Sogar puschelige Küken verstecken sich zwischen den Büscheln!
Hier auf Neuwerk ist der Nachwuchs bereits geschlüpft, und die Elterntiere flitzen kreuz und quer über unsere Köpfe, raus aufs Wasser und wieder zurück zum Nest. Direkt am Ufer stürzen sich die Vögel in die Wellen, um Sandaale und kleine Heringe für die Jungen zu erbeuten. „Das Leben ist hier vom Ausstrom der Weser geprägt“, weiß Dr. Hennig. Die Wassertemperaturen der Weser sind etwa anderthalb Grad wärmer als die der Elbe. Vor allem Heringe haben jetzt noch die richtige Größe für die Schnäbel der hungrigen Küken.
In Neufeld in Dithmarschen, wo Dr. Hennig und sein Team die Seeschwalben seit Jahren beobachten, werden demnächst junge Stinte aus der Elbe ganz oben auf der Speisekarte stehen. Die Küken schlüpfen dort zwei bis drei Wochen später als auf Neuwerk. Dann bringt die Elbe mit jeder Tide immer wieder ausreichend Nachschub an schnabelgerechtem Stint – noch. Denn wenn es im Winter nicht mehr richtig kalt wird, könnten die Fische früher schlüpfen und schon zu groß sein, wenn die jungen Seeschwalben nach Nahrung schreien. Außerdem fließt das Wasser durch die Elbvertiefung mit den Gezeiten schneller auf und ab. Kleine Algen bilden daher weniger Aggregate, und in der Elbe wird weniger Sauerstoff produziert. Den aber benötigen die jungen Stintlarven.
Der Vergleich zwischen Neuwerk und Dithmarschen zeigt, dass sich Seeschwalben-Kolonien im Laufe der Zeit auf lokale Lebensbedingungen eingestellt haben. Aber ob sie sich zukünftig an ein sich-änderndes Nahrungsangebot anpassen werden, können die Forschenden anhand ihrer derzeitigen Beobachtungen noch nicht sagen. „Natürlich wandelt sich die Natur. Aber diesmal sind die Veränderungen eindeutig vom Menschen gemacht – und das bereitet mir Sorgen“, sagt Dr. Hennig.
Für Rückfragen:
Maike Nicolai
Universität Hamburg
Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften (MIN)
Dekanat
Tel.: +49 40 42838-7193
E-Mail: maike.nicolai@uni-hamburg.de