Taxonomie und klassische Systematik
Jede Wissenschaft erfordert eine genaue Benennung des Untersuchungsobjekts, daher ist Taxonomie Voraussetzung für alle anderen biologischen Disziplinen. Namen von Pflanzen müssen den Regeln des International Code of Nomenclature entsprechen, und ihre korrekte Anwendung wird letztlich durch ein bestimmtes Exemplar festgelegt (‚Typus-Exemplar‘ genannt), das in einem bestimmten Herbarium hinterlegt ist. Taxonomen erfassen die Vielfalt des Lebens und schreiben Bestimmungsschlüssel, Floren und Monographien, die anderen Wissenschaftlern zur Identifikation ihrer Untersuchungsobjekte dienen.
Ist das nicht alles längst abgeschlossen? Keineswegs! Für Europa und Nordamerika sah es eine Weile so aus, aber nicht für andere Teile der Welt. Und jetzt verändert sich die Flora in nie gekannter Geschwindigkeit. Einerseits sehen wir das schlimmste Massenaussterben seit dem Meteoriteneinschlag am Ende der Kreidezeit, andererseits werden mehr Arten als jemals zuvor absichtlich oder unbeabsichtigt durch Tourismus und Handel in andere Teile der Welt verschleppt, und viele haben aufgrund des Klimawandels erstmals die Chance, sich dort auch zu etablieren.
In der klassischen Systematik wurde die Verwandtschaft der Pflanzen anhand morphologischer und anatomischer Merkmale abgeschätzt. Heute ermöglicht die molekulare Systematik zwar eine sehr viel präzisere phylogenetische Analyse und hat zu zahlreichen Veränderungen geführt, andererseits aber auch die früheren Hypothesen zu großen Teilen bestätigt. Nach wie vor liefert die Morphologie die wichtigsten Merkmale zur Bestimmung von Pflanzen und zu ihrer (zumindest vorläufigen) Einordnung in den Stammbaum des Lebens. Vor allem aber erzählen uns die morphologischen Merkmale mehr über die Einpassung der Pflanzen in ihre Umwelt als die DNA-Sequenzen.